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Von der Zeichnung 1

Wer beherrscht die Zeichnung? Diese Frage stellt Ferenc Jadi 1998 in seiner Schrift „Von der Zeichnung/Traktate über Tat und Weigerung“.

Als ich im Jahr 2009 über die Arbeit an der Zeichnung erstmals einen längeren Text verfasste, beschrieb ich darin das Phänomen der „Verletzung eines intakten Gewebes“. Ich verglich den Akt des Zeichnens mit einem chirurgischen Eingriff. Parallel stellte sich mir die Frage nach der Verletzbarkeit als notwendige Bedingung für Reflexion.

Für mich bildet die Reflexion eine operative Größe im Kreativen. Deswegen wurden Ferenc Jadis Texte für mich interessant. Einige seiner Gedanken sind grundlegend für meine eigene Arbeit geworden. In seinem Traktat „Von der Zeichnung“ spricht er unter anderem von der „Schuld“ die dem Zeichner durch sein vorsätzliches Tun widerfährt, eine Schuld, die er beim Zeichnen dem Material selbst anträgt. Er sagt: „Die zeichnerische Begabung ist wie die Gabe im allgemeinen etwas, was man nicht hat. Sie in Besitz zu nehmen, über sie zu verfügen und sie zu unterjochen, als sei sie das Eigene, bedeutet in letzter Konsequenz, sich zu verschulden“.

An anderer Stelle ist zu lesen: „Wenn es stimmt, dass der Horror vor dem weißen Papier ein Horror vor der Vollkommenheit und Fülle ist und es eine Beschwörung, eine schlechte Rede über das Andere und dadurch etwas Niedermachendes ist, wenn etwas auf das Papier gebracht wird, dann ist das zeichnerische Tun mit Schuld verbunden.
Man nimmt sie auf sich. Legt der Zeichner eine Spur, lastet er der Vollkommenheit etwas an. Wie er langgeht und die Helle anschwärzt […]“

1 Ferenc Jadi, „Von der Zeichnung“, Institut für Buchkunst, Leipzig 1998


Selbstgespräche mit Ferenc Jadi (fiktiver Dialog)

C.A.M.: „Herr Jadi, Sie fragen: „Wer beherrscht die Zeichnung?“ Auf diese Frage wäre ich selbst nicht gekommen. Doch beim Zeichnen sehe ich mich im Dialog mit einer Widerspenstigkeit. Warum ergibt diese Frage Sinn?“

Ferenc Jadi: „[…] Diese Frage wird nicht aus Liebe zur Sprache gestellt, sondern um anzudeuten, dass das Vermögen des Subjekts, etwas zeichnerisch umzuwandeln, nicht die virtuose Fähigkeit voraussetzt, irgendetwas zu beherrschen. […] Vielmehr soll geklärt werden, wie sich die Zeichnung der Sprache der Spur öffnet und so zu Sprache werden kann, wobei die Spur die Deklination der Handlung nachmacht, die die Zeichnung bewegt.“

C.A.M.: “Ich verstehe die „Spur“, von der Sie sprechen, als etwas Fragmentarisches, etwas, das zurückbleibt während das eigentliche „Ding“ vorangeht.“

F.J.: „Beim Fragment wird der Verstand aus der Reserve gelockt und mit der reproduktiven Einbildungskraft beweihräuchert, eine Täuschung, die sich mit dem Künstlerischen verständigen will […]“

C.A.M.: „Ja, das Fragment oder die Spur verlangt von seinem Betrachter eine ergänzende Interpretation in Bezug auf das Bildganze. Deswegen finde ich diese Begriffe schwierig, um die Zeichnung hinreichend zu beschreiben.“

F.J.: „Ergänzendes Sehen gehört zum Fundus des Sehvermögens […] Der Raffgier der Eindeutigkeit unseres Sehens widerstehen Zeichnungen, je mehr sie in der losen Linie leben und die Fläche meiden. Der Drang nach Eindeutigkeit
verursacht, dass eine Zeichnung, ihrer Transparenz ungeachtet, immer in eine Gestalt gefasst scheint. In der Bilanz des Blickes erweist sich dieses Hab und Gut als etwas, das nach der Verletztheit im Authentischen schaut. […] Ein Bild sucht in seinem vorästhetischen Schein sein Opfer, [etwas] worauf es sich beziehen kann. Wie jede Kunst lebt auch die Künstlerzeichnung aus Demontage und Verweigerung. Unendliche Möglichkeiten bietet eine Linie, die an einem Punkt
angelangt ist, wo sie Kraft ansammelt, Welt aufspürt und in die Weite aufbricht.“

C.A.M.: “In der Einfachheit einer Zeichnung erwarten wir oft eine subtile Botschaft des Autors, der „trait“, die Spur, soll als Idee lesbar werden. Eine noch so diffuse Ordnung der Formen wird oft verdächtig, uns das Geistige anzupreisen. Ich denke es gilt diese Propaganda-Maschine unseres Wahrnehmungsapparates zu unterlaufen.

F.J.: „[…] Die subjektive Kraft schickt den Strich in das Fremde und belebt das eingeschmerzte Objektive, indem sie ein Bild kundtut. […] Erkanntes und Kryptisches gehen ineinander über…“

C.A.M. : „Vielen Dank für das Gespräch.“

Claudia Annette Maier, 2019